Politik

Rätsel um Böhnhardt-DNA Thüringen prüft ungeklärte Kindsmorde

Die DNA-Spuren von Uwe Böhnhardt am Fundort der getöteten Peggy sind wohl weder Zufall noch Fehler. Politik und Justiz hoffen, jetzt weitere Verbrechen gegen Kinder aufklären zu können. Eine extra eingerichtete Soko ermittelt.

Eine Sonderkommission der Thüringer Polizei soll ungeklärte Fälle von Kindstötungen seit 1990 noch einmal untersuchen. Damit zieht der Freistaat die Konsequenzen aus dem Fund einer DNA-Spur des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt in der Nähe der sterblichen Überreste der getöteten neunjährigen Peggy aus Bayern. Innenminister Holger Poppenhäger sagte, durch den Fund ergebe sich die Chance, bei den wenigen unaufgeklärten Fällen den Faden wieder aufzunehmen. Ministerpräsident Bodo Ramelow erklärte: "Das müssen wir alles viel, viel gründlicher betrachten."

Die Sonderkommission bei der Landespolizei Jena soll ihre Arbeit am kommenden Montag beginnen und mit der Staatsanwaltschaft Gera zusammenarbeiten. Gleichzeitig soll sie die Ermittlungsarbeit der bayerischen Behörden im Fall Peggy unterstützen.

Bekannt sind die Fälle des neunjährigen Bernd Beckmann in Jena, der im Juli 1993 zunächst verschwunden war und zwölf Tage später tot am Ufer der Saale in einem Gebüsch gefunden wurde. Böhnhardt war von einem selbst in Verdacht geratenen Schulfreund des Mordes an dem Kind bezichtigt und von der Polizei vernommen worden - allerdings ohne greifbares Ergebnis.

Nie gefasst wurde auch der Mörder der zehnjährigen Ramona Kraus aus Jena-Winzerla, die im August 1996 verschwand. Im Januar 1997 wurde in einem Waldstück bei Eisenach die Leiche des Mädchens entdeckt.

70 ungeklärte Todesfälle

Das thüringische Innenministerium erklärte, im gesamten Freistaat habe es seit der Wende etwa 70 ungeklärte Todesfälle gegeben, drei davon hätten sich in der Region Jena zugetragen. In wie vielen Fällen es sich um Kinder handelte, konnte das Ministerium nicht sagen.

Auch im Umfeld des NSU sind neue Ermittlungen möglich. Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Clemens Binninger, forderte eine "Generalrevision": "Der Generalbundesanwalt und das Bundeskriminalamt müssen sich noch mal den vielen anonymen Spuren an den NSU-Tatorten widmen."

Am Donnerstag war bekanntgeworden, dass am Fundort der Skelettteile des 2001 verschollenen Mädchens aus Oberfranken Genmaterial von Böhnhardt entdeckt worden war. Dieses habe sich an einem Gegenstand befunden. Details zu dem Spurenträger wollten die Ermittler nicht mitteilen. Laut "Spiegel Online" handelt es sich um ein Stück Stoffdecke.

Keine Hinweise auf Untersuchungsfehler

Eine zufällige Übertragung der DNA Böhnhardts auf die sterblichen Überreste von Peggy am eigenen Institut schloss die Rechtsmedizin der Universität Jena aus. Im Juli seien ausschließlich Skelettreste des Mädchens untersucht worden. Die Spurensicherung am Fundort und die Untersuchung der dort gefundenen Spuren seien allerdings nicht von der Jenaer Rechtsmedizin durchgeführt worden.

Auch das Bundeskriminalamt sieht derzeit keine Hinweise auf eine Verunreinigung oder Verwechslung. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei eine DNA-Spur von Böhnhardt gesichert worden, sagte BKA-Präsident Holger Münch. Nach Angaben der für den Fall Peggy zuständigen Staatsanwaltschaft Bayreuth wird aber weiter geprüft, ob der DNA-Treffer möglicherweise durch eine Verunreinigung ausgelöst wurde.

Am 2. Juli war ein Pilzsammler in einem Waldstück im Saale-Orla-Kreis in Thüringen auf Teile von Peggys Skelett gestoßen - nur rund 15 Kilometer vom Heimatort des Mädchens entfernt. Nach einem Bericht des SWR soll es unweit der Stelle ein Wochenendhaus aus dem familiären Umfeld des NSU geben.

Was weiß Beate Zschäpe?

Nach BKA-Angaben wurde an Kindersachen aus dem im Jahr 2011 ausgebrannten Wohnmobil der mutmaßlichen NSU-Terroristen keine DNA-Spur der toten Peggy entdeckt. Behördenchef Münch sagte, zwar sei eine weibliche DNA gesichert worden, aber nicht die von Peggy.

Die Neunjährige war zehn Jahre zuvor - im Mai 2001 - im nordbayerischen Lichtenberg auf dem Heimweg von der Schule verschwunden. Klar ist für die Ermittler, dass der Fundort der Skelettteile nicht der Tatort war. Wie lange Peggy nach dem Verschwinden noch gelebt hat, war aber unklar. Offen ist auch, wie lange die Skelettteile in dem Wald gelegen haben.

Auf den NSU-Prozess haben die neuen Erkenntnisse erst einmal keine Auswirkungen. Das Verfahren gegen Beate Zschäpe vor dem Oberlandesgericht München wird wie geplant fortgesetzt. Mehrere Opferanwälte und Mitglieder diverser Untersuchungsausschüsse kündigten aber neue Fragen an. Sie wollen wissen, was Zschäpe zum Fall Peggy sagen kann, was hinter den Vorwürfen des Kindesmissbrauchs steckt und ob alle ungeklärten Fälle von Kindstötungen mit der DNA der mutmaßlichen NSU-Terroristen abgeglichen werden sollten.

Quelle: ntv.de, chr/dpa

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