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ReWalk-Exoskelette für Gelähmte "Wir nehmen eine Vorreiterrolle ein"

Mit einem Exoskelett sollen Querschnittsgelähmte wieder normale Bewegungsabläufe erreichen.

Mit einem Exoskelett sollen Querschnittsgelähmte wieder normale Bewegungsabläufe erreichen.

(Foto: ReWalk)

Gelähmte können wieder laufen - dieses Versprechen will das Unternehmen ReWalk mit seinen Exoskeletten einlösen. In Deutschland existiert es seit 2012. Im Interview mit n-tv.de erklärt Europa-Chef John Frijters das Konzept und die Pläne des einstigen Start-ups.

n-tv.de: Was unterscheidet Ihr Produkt von der Konkurrenz?

John Frijters: Wir nehmen eine Vorreiterrolle ein, weil wir diese Technik gezielt für Querschnittsgelähmte entwickelt haben. Andere Exoskelette auf dem Markt haben militärische oder industrielle Ursprünge und so ist hier in der Entwicklung immer von dem gehfähigen Menschen ausgegangen worden. ReWalk wurde von einem Betroffenen entwickelt: Der Entwickler Dr. Goffer erlitt selbst eine Querschnittslähmung und baute das Exoskelett von Anfang an so, dass es auf Handlungs- und Bewegungsfähigkeit eines gehbehinderten Menschen ausgerichtet ist. Entsprechend wurden und sind alle klinischen Studien ausgelegt.

Was kann ein Exoskelett leisten?

John Frijters ist Europa-Chef von ReWalk.

John Frijters ist Europa-Chef von ReWalk.

Wir können Menschen, die bis zu 100 Kilogramm wiegen und bis circa 1,90 Meter groß sind, aus dem Rollstuhl aufstehen, laufen und sogar Treppen steigen lassen. Mit dem Exoskelett wird eine Alltagstauglichkeit erreicht, die mir als Querschnittsgelähmter ermöglicht, meinen Rollstuhl mehrfach in der Woche zu verlassen und zu gehen, zu stehen und mich auf Augenhöhe zu bewegen. Dahinter steckt eine Technik, die wir dem Anwender individuell anpassen. Dadurch erreichen wir Bewegungsabläufe, die der normale Fußgänger auch kennt – ein natürlicher Gang.

Wie bekommt man ein Exoskelett?

Wir vermarkten über "Medical Professionals". Das heißt, der Betroffene besorgt sich eine ärztliche Freigabe. Diese dokumentiert, dass man körperlich und geistig in der Lage ist, den Umgang mit dieser Technik sicher zu lernen. Mit diesem Rezept geht der Betroffene in ein Trainingszentrum, wo er lernt, ein ReWalk-System zu beherrschen. Danach steht dann einer Kostenübernahme durch einen Kostenträger nichts im Wege.

Was kostet die neueste Version des Exoskeletts?

Die Kosten liegen bei circa 100.000 Euro. Der Preis hängt auch vom Trainingsaufwand beziehungsweise von dessen Dauer ab.

Gehören Krankenkassen zu den Kostenträgern?

Ja. Wir haben über 112 Kostenträger, darunter viele gesetzliche Krankenkassen. Es gibt aber auch Herausforderungen. Weil die Technologie neu ist, wird sie mit einer gesunden Skepsis beäugt. Wir befinden uns in einer Markteinführungsphase. Dennoch haben wir als erstes Unternehmen in Deutschland und den USA mit Kostenträgern verbindliche Vereinbarungen auf diesem Gebiet getroffen. Im vergangenen Jahr gab es ein Grundsatzurteil des Sozialgerichts Speyer, wonach es bei ReWalk um eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen geht, weil man mit dieser Technologie einen Ausgleich der Behinderung erzielen kann. Der Kostenträger hat dadurch auch Vorteile.

Welche?

Wenn eine Person wieder normal laufen kann, verringert sich das Risiko sekundärer Komplikationen wie Druckstellen, Kontrakturen, Stuhlgangsprobleme.

Einige Mediziner warnen allerdings, dass man mit einem Exoskelett nicht lange gehen kann. Stimmt das?

Man kann unser System den ganzen Tag lang verwenden. Allerdings ist das von Anwender zu Anwender unterschiedlich. Das hängt von der Kondition, dem Trainingsstand und dem Grad der Beeinträchtigung ab.

Was bedeutet das konkret?

Entscheidend ist oft die sogenannte Läsionshöhe. Diese beschreibt den Ort der Beeinträchtigung, also ob der Patient zwischen den Schulterblättern oder im unteren Lendenwirbelbereich beeinträchtigt ist, wo die Rumpfkontrolle viel größer ist. Mit einer höheren Läsion hat man natürlich eine andere Möglichkeit, das Gerät zu nutzen, als jemand mit einer niedrigeren Läsion.

Wecken Sie mit damit nicht eine Erwartungshaltung, die Sie enttäuschen müssen?

Es ersetzt nicht den Rollstuhl. Das ist unsere Zukunftsvision. Gott sei Dank haben wir schon genügend Mitstreiter, die eine Chance für diese Neuheiten generieren wollen. Die Kostenträger wissen zum Glück auch, dass wir eine überschaubare Zielgruppe haben.

Wie groß ist diese?

Die Britin Nicki Donnelly besitzt auch ein Exoskelett von ReWalk.

Die Britin Nicki Donnelly besitzt auch ein Exoskelett von ReWalk.

(Foto: ReWalk)

Es gibt etwa 130.000 Querschnittsgelähmte, pro Jahr etwa 1600 neue. Daraus generieren wir unsere Zielgruppe. Diese umschließt alle für die Technologie geeigneten Querschnittsgelähmten, bei denen es keine Kontra-Indikationen gibt. Es gibt aber auch Personen, die mit einem Rollator oder einer Unterschenkelprothese besser versorgt sind als mit einem Exoskelett. Um dies herauszufinden, gehen wir gezielt in Einzellösungsprozesse, bei denen wir uns mit Medizinern abstimmen. Die kritischen Stimmen wird es immer geben - gerade bei Start-ups. Die haben eine gute Idee, bringen es zu einer gewissen Marktreife und müssen dann am Markt wachsen.

ReWalk hat auch als Start-up begonnen und ist nun ein internationales Unternehmen mit weltweit knapp 70 Mitarbeitern. Wodurch finanziert es sich?

Momentan befinden wir uns in der Wachstumsphase. Wir haben die Start-up-Phase verlassen und sind nun ein Grow-up. Durch den Börsengang ist Kapital in die Firma geflossen. Nach wie vor können wir Aktien veräußern. Neben den bisher veräußerten Aktien konnten wir Kredite aufnehmen und somit unser Wachstum finanzieren. Langfristig wollen wir aber unseren Cashflow durch den Verkauf von ReWalk-Systemen generieren.

Was könnte Investoren von Ihrem Unternehmen überzeugen?

Zunächst haben wir eine Innovation. Darüber hinaus unterliegen wir den Behörden und strengen Regularien, weil wir in der Medizintechnik arbeiten. Und wir sind ein börsennotiertes Unternehmen – das bedeutet, dass wir sehr präzise sein müssen. Das fördert unsere Qualität.

Bisher weisen die Unternehmensbilanzen ein negatives Ergebnis aus. Wann wird das Unternehmen profitabel sein?

Momentan herrscht sehr viel Dynamik auf dem Markt. Deshalb können wir uns nicht festlegen. Zumindest haben wir die Gewissheit, dass unsere Technologie gesetzlich genehmigt ist und dass die Kostenträger dabei sind, einen Abwicklungsprozess zu entwickeln.

Wie viele Exoskelette sind bisher in Deutschland im Umlauf?

In Deutschland sind knapp 40 Systeme im Umlauf, etwa die Hälfte davon bei Anwendern zu Hause. Die übrigen Systeme befinden sich in Kliniken oder bei Anwendern in der Trainingsphase.

Welches Potenzial sehen Sie auf dem deutschen Markt?

Momentan fokussieren wir uns mit unserem Exoskelett auf die Versorgung von Querschnittsgelähmten. Diese Zielgruppe ist längst noch nicht bedient. Darüber hinaus streben wir eine Exoskelett-Entwicklung für andere Indikationen an, um therapeutisch im Bereich Schlaganfall und Multiple Sklerose tätig zu werden. Unser Anspruch ist es zunächst, mit der Zielgruppe Querschnittsgelähmter über Deutschland hinaus nach Europa, in die USA und in die Welt zu wachsen.

Mit John Frijters sprach Christoph Rieke

Quelle: ntv.de

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